Der FC Barcelona zählt auch physisch zu den besten Fußballmannschaften – und das ganz ohne Dauerlauf, Krafteinheiten oder Konditionstraining.
BARCELONA. Auf den ersten Blick ist es nicht zu erkennen, dass der Mann an Ronaldinhos Seite die Fitness des berühmtesten Fußballers der Welt verbessert. Sie traben gemeinsam um den Trainingsplatz des FC Barcelona, und Ronaldinho muss fast ins Schritttempo fallen, sonst würde der Mann an seiner Seite nicht mitkommen. Er hat eine steife Hüfte.
Francisco Seirullo, Mittfünfziger, ist der Fitnesstrainer des spanischen Meisters. Er revolutioniert die Trainingslehre im Profifußball. Es geht auf der Laufrunde nur darum zu sehen, ob der schmerzende Fuß Ronaldinho trägt, da kann Seirullo mitkommen, auch wenn das Joggen so zum schnelleren Spaziergang wird. Aber egal, denn Laufen ist beim FC Barcelona nicht angesagt. Das längste, was sie rennen, sind drei Minuten; Tempoläufe in der Vorbereitung. Ohne ein einziges Dauerlauftraining, ohne eine einzige Übungsstunde im Kraftraum macht Seirullo Barça zur bestaunten Elf.
Am Mittwoch zum Champions-League-Viertelfinale gegen Benfica Lissabon werden wieder weltweit die Fernseher eingeschaltet, zappelig vor Vorfreude auf den Zauber. Im Bann der Eleganz von Ronaldinho, Deco und ihrer Begleitband wird leicht übersehen, dass dies auch eine der physisch stärksten Mannschaften ist. Weder Juventus Turin noch Bayern München raubt dem Gegner öfters den Ball. Niemand spielt ein intensiveres Pressing. Viele Wege führen zum Ziel, und es soll deshalb auch gar nicht der Anspruch erhoben werden, Barças Training sei das einzig wahre. Aber gerade in einer Zeit, in der Bundestrainer Klinsmann mit seinen vermeintlich neuen Trainingsideen aus Amerika Deutschland aufschreckt, sollte die Bundesliga aufmerken, dass die spielfreudigste Elf Klinsmanns Vorstellung vom Tempotraining noch viel radikaler umsetzt.
Barças Fitnesstraining steht radikal im Gegensatz zu dem, was Felix Magath beim FC Bayern macht und in der Bundesliga als Maßstab gilt. Magath schickt sein Team Berge hinauf, Barças Spieler merken gar nicht, wenn sie die Physis trainieren, so sehr hat Seirullo die Fitnessschulung ins Spiel integriert. Allgemein gilt Fußball als Ausdauersport, weil die Spieler 90 Minuten lang rennen müssen. Seirullo hält Fußball für einen Sprintsport: antreten, abbremsen, ausweichen, sich abrupt drehen, und alles mit dem Ball am Fuß. Man müsse genau das trainieren, fand Seirullo, Professor an der Sporthochschule INEFC. Zunächst wand er sein Konzept bei Barças Handballern an; sie gewannen zwischen 1995 und 2000 jedes Jahr Champions League und nationale Liga.
Selbst aufs Warmlaufen verzichtet Seirullo. Stattdessen wird eine Art Fange gespielt und so schnelles Reagieren und Denken mitangeregt. Sein Königspatent jedoch sind die Parcours. Barça verbringt gut die Hälfte der Trainingszeit damit. Zum Beispiel beginnt ein Spieler an der Mittellinie mit einem Pass nach außen. Dann fliegt er über vier niedrige Hürden, kriegt den Ball zurück, sprintet mit ihm um Slalomstangen, und so weiter, bis er zum Torschuss kommt. Seirullo hat davon unzählige Varianten entwickelt. So trainieren die Spieler gleichzeitig Schnellkraft, Koordination, anaerobe Ausdauer – und das Beste ist, sie merken es nicht: Ballverliebt wie sie sind, denken sie nur an den Pass, den Torschuss. Zudem ist die Erholungszeit nach solchen schnellen Belastungen viel kürzer als bei gewöhnlicher Ausdauerarbeit. Während Magath klagt, bei drei Spielen pro Woche bleibe keine Zeit für ordentliches Training, übt Barça weiter: Passen, Springen, Zweikampf, Slalom. „Nicht so schnell, das kann ich gar nicht aufzeichnen“, japste Lars Leese, ein junger deutscher Trainer, als er unlängst beim Praktikum da war. Er trainiert einen Fünftligisten und ist neben Kosta Runjaic, dem Assistenten von Kaiserslauterns Reserve, der einzige Deutsche, der in den jüngsten zwei Jahren zum Lernen nach Barcelona kam.
Dabei halten Teams, die ihre Fitness aus dem klassischen Lauf- und Krafttraining ziehen, mit Barça nur 25 Minuten in der ersten und 15 in der zweiten Halbzeit mit, sagt Seirullo zum Ende des Gesprächs. Draußen auf dem Platz steht Ronaldinho mit Deco. Das kann ihnen kein Fitnesstrainer beibringen, das kommt von innen: die Freude am Spiel. 40 Minuten nach Trainingsende bolzen sie noch immer aufs Tor, nun – einfach weil Ronaldinho auf die Idee kam – barfuß.
Quelle:
von Ronald Reng
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2006/0405/sport/0016/index.html
5. April 2006